Südamerika - Eine Reise zwischen Himmel und Erde
Durch Südamerika mit einem über 40 Jahre alten Land Rover.
Mit der Ente in die Anden?
„Mit welchem Fahrzeug wollen wir fahren – mit einer Ente oder dem Land Rover?“ Wir sind in Paraguay, in der kleinen Stadt Oviedo, und stehen bei Walter auf dem Hof. Walters Liebe gehört ganz speziellen Oldtimern. Da steht die legendäre Ente – die 2CV Sahara 4x4 2-motorig mit 2x 29 PS, neben der Kastenente (Baujahr 1969) mit Dachzelt und einem Land Rover/ Baujahr 1968. Er ist überzeugt, dass die Ente die über 5.000 m hohen Pässe der Anden schaffen wird, nur unser Gepäck nicht!
Wir verabschieden uns enttäuscht von der reizvollen Idee, mit der Ente Südamerika zu erkunden. Schweren Herzens entscheiden wir uns für GUSTAF, den über 40 Jahre alten Land Rover samt Zelt, Hängematte und einer kleinen Campingausstattung - man weiß ja nie.
Vor der Abfahrt aus Oviedo machen wir noch einen kurzen Stopp in der nächsten Gomeria – GUSTAF auf Reifendruck und Tauglichkeit überprüfen lassen. Kurz noch den Tank auffüllen, Eis in die Kühlbox (ein warmes Cerveza schmeckt einfach nicht) und ein paar Zigaretten besorgen. Wir rauchen zwar nicht, aber Walter ist sicher, dass wir sie noch brauchen.
Es geht Richtung Norden nach Concepciòn. Zunächst ist alles noch grün und auf den Asphaltstraßen herrscht reger Verkehr. Auf den satten Weiden stehen weiße Zebu Rinder. Man hat sie aus Indien eingeführt, weil sie sich den klimatischen Bedingungen Südamerikas perfekt anpassen.
Nach dem Verlassen der Asphaltstraße geht es auf rot-sandigen, staubigen Pisten weiter. Immer wieder treffen wir auf Holztransporte und kommen an zahlreichen kuppelförmigen Meilern für die Holzkohleproduktion vorbei. Leider werden viele Bäume für die Holzkohle gerodet und um Platz für die Sojabohnen zu schaffen.
Concepciòn, die 50.000 Einwohner zählende Stadt am Rio Paraguay, kann mit einigen kolonialen Gebäuden und einem quirligem Leben auf den Straßen aufwarten. Man spürt die Nähe Brasiliens, denn die Menschen sind selbst bei 40 ° C im Schatten noch gut gelaunt.
Unser eigentliches Ziel liegt 20 km von Concepciòn entfernt und ist die Öko-Farm von Peter Gärtner. Peter ist Anfang der 90er Jahre nach Paraguay ausgewandert, hat hier geheiratet und mit seiner Frau Andresa und seinen drei Kindern die Farm "El Roble" aufgebaut. Wir können diese Farm nun besichtigen und später hier übernachten.
Frösche im Toilettenbecken
Uns begrüßt ein für uns etwas ungewöhnliches Haustier: Mimi, das hauseigene Wasserschwein, eines der größten Nagetiere, wird von der Familie liebevoll versorgt und fühlt sich hier sauwohl. In unsere Hütte begegnen wir allerdings auch ganz anderen tierischen Hausbewohnern. Als Peter uns am Abend unsere Schlafstätte zeigt, geht er ins Bad und rät uns, jedes Mal, bevor wir die Toilette benutzen, vorher zu spülen. In dem Moment, indem er es uns demonstriert, springen Frösche aus dem Toilettenbecken. Ich muss gestehen, bei jedem Gang zur Toilette habe ich die Klobürste in die Hand genommen und doch noch mal den einen oder anderen Frosch damit verscheucht.
Nicht nur Frösche und Wasserschweine sind bei Peter Zuhause. Auch andere Haustiere werden von der Familie aufgepäppelt, bevor sie in der Pfanne landen. Peter hat ein unglaubliches Wissen von Fauna und Flora, welches er uns auf einem Rundgang gern vermittelt. Und dabei verrät er uns: Obwohl er sich in Paraguay bestens eingelebt hat, vermisst er seine Lieblingsspeise und das sind - man glaubt es kaum - Rollmöpse.
Vom Rio Paraguay fahren wir weiter in den Chaco, eine herbe Ebene mit Trockenwäldern und Dornbuschsavannen, die sich bis zu den Anden erstreckt. Der Gran Chaco ist vor allem im Norden und Westen ein sehr dünn besiedeltes Gebiet und der Fluss selber ein wichtiger Transportweg. Noch heute leben hier sehr viele Nachkommen verschiedener indigener Völker.
Ein deutscher Supermarkt im Chaco
Daneben haben sich Mennoniten im Chaco angesiedelt, in der Nähe der kleinen Stadt Filadelfia. Die Stadt wurde zwischen 1930 und 1932 von deutschstämmigen Mennoniten gegründet, die aus der Sowjetunion geflohen waren. Es ist schon ein komisches Gefühl, hier in der Wildnis in einem Supermarkt zu stehen, deutsche Beschriftung zu lesen und die typisch deutsche Gründlichkeit und Sauberkeit zu erleben. Dazu wollen die 40 Grad Hitze und der Staub nicht so recht passen. Die Mennoniten sind bekannt für ihren wirtschaftlichen Erfolg, denn ein Großteil aller Milchprodukte des Landes kommt aus ihren Kolonien. Dafür, dass sie das raue und unfruchtbare Land bewirtschaften, hat man ihnen im Gegenzug die Wahrung ihrer Grundrechte zugesagt. Dies beinhaltet unter anderem religiöse Freiheit, Befreiung vom Militärdienst und eine eigene Gerichtsbarkeit. In der Post von Filadelfia kann ich eine Landkarte kaufen und mich dabei ohne Probleme auf Deutsch unterhalten. Es ist allerdings ein altes Deutsch mit Worten, die wir schon lange nicht mehr benutzen.
Walter erzählt uns, dass Paraguay schon immer Abenteuerlustige, Aussteiger und auch Kriminelle angelockt hat. So wurde das Land in den 35 Jahren Militärdiktatur von Alfredo Stroessner zu einem sicheren Zufluchtsort für Nazis, wie dem berüchtigten KZ Arzt Josef Mengele. Aber auch andere internationale Kriminelle fanden hier Unterschlupf, wie beispielsweise Konsul Weyer oder der Söldner Axel Hinschak, der Idi Amin aus Afrika ausflog und ihm damit zur Flucht verhalf. „Übrigens, als Ausländer hier Land zu erwerben ist unproblematisch, wenn man nur genug Geld mitbringt“, erklärt uns Walter.
Nicht weit von Filadelfia entfernt treffen wir auf eine andere Kolonie - es ist Rosaleda. Hier leben keine Mennoniten, sondern eine Gruppe von 36 Schweizern. Vor Jahren wurde Land aufgekauft und parzelliert. „Ein Schweizer kam 1994, erwarb eine Parzelle und wo einer ist, fühlen sich auch andere Schweizer wohl“, berichtet Walter. Daher bauten sie Häuser, eine Schule und ein Gästehaus. Viel ist von dem damaligen Enthusiasmus allerdings nicht übrig geblieben und Kinder sind auch keine mehr dazu gekommen. Die Schweizer Kolonisten, die jetzt noch da sind, sind standhaft und verteidigen ihr Leben in dieser Abgeschiedenheit und Wildnis.
Der Grenzübergang von Paraguay nach Bolivien ist noch weit entfernt, aber wir müssen alle Formalitäten gute 200 km vorher in Mariscal Estigarribia erledigen. Für Walter ist das eine echte Herausforderung, denn GUSTAF muss durch den Zoll und er selber reist mit einem deutschen Reisepass und einer paraguayischen Aufenthaltsgenehmigung. Für ihn sind Grenzübergänge immer wie eine Wundertüte - man weiß nie, was drin ist. Die Grenzbeamten werden schlecht bezahlt und der Frust in der Einöde ist groß. Ein kleines Zubrot wird da gern genommen. Die Beamten haben Zeit, der Reisende in der Regel nicht – und das wissen alle. Geduld und Diplomatie sind daher gefragt und einige unserer Zigarettenschachteln kommen hier tatsächlich zum Einsatz – wie von Walter wohlweislich angekündigt.
Wie werden Reisepässe abgestempelt
Auf Bolivianischer Seite erwartet uns gleich ein ganzes Heer von schwerbewaffneten sehr jungen Grenzbeamten. Der Anführer der Gruppe hat gute Laune und freut sich, sein Können der Truppe demonstrieren zu können. Stolz stempelt er unsere Pässe ab. Gegen ein Foto hat er nichts einzuwenden - ganz im Gegenteil!
Zwischen Villa Montes und Tarija übernachten wir bei Astrid und Torge Platzer in Entre Rios. Sie sind 2001 ebenfalls ausgewandert und haben sich in dieses Fleckchen Land verliebt. Ihr Eigentum sind 20.000 Quadratmeter Land mit einem großen Haus, zwei Cabanas zum Vermieten, einem Pool, Grillplatz und alles, was das Herz in der Fremde sonst noch braucht. Bevor es weiter geht, ist uns Torge noch beim Beschaffen von Diesel behilflich, denn Ausländer zahlen in Bolivien in einem Radius von 200 km Grenzentfernung für den Diesel den 2 1/2 fachen Preis. Der günstige Spritpreis soll nämlich den Bolivianern vorbehalten bleiben.
Geröllabgang und enge Straßen
Bolivianische Straßen sind abenteuerlich und Probleme daher vorprogrammiert. Kälte, Regen und Überschwemmungen machen den Straßen zu schaffen und mit Geröllabgängen muss immer gerechnet werden. Darüber hinaus sind sie nicht besonders breit – und wenn uns ein großer LKW entgegen kommt, ist ein hohes Maß an Fahrkunst gefragt. Bei dem Thema extreme Straßenbedingungen hat Walter reichlich Erfahrung und kann jede Menge Geschichten erzählen: Von stundenlangem, sogar tagelangem Warten am Wegesrand, bis die Straße vom Geröll befreit ist; von Bächen, die plötzlich zu einem unüberbrückbaren, reißenden Strom werden und ein Weiterkommen unmöglich machen. Auch uns erwischt es – wir müssen an einem Geröllabgang halten. Wir erleben den Geröllabgang allerdings nicht live und die Straße ist auch schon fast wieder geräumt. Unsere Campingausrüstung kommt glücklicherweise nicht zum Einsatz.
In Tarija sind wir mittlerweile auf 1.900 m Höhe angekommen. Im Umland werden Blumen, Zuckerrohr und Obst angebaut und in der Stadt verkauft. Obwohl es wenig Industrie gibt, ist Tarija eine der modernsten Städte Boliviens. Wir stellen GUSTAF vor unserer Unterkunft ab, der Residencial Rosario. Die Unterkünfte sind in Bolivien unglaublich günstig. So zahlen wir für unser Doppelzimmer mit eigenem Bad umgerechnet 10 € – allerdings ohne Frühstück. Das besorgen wir uns am Morgen auf dem Markt um die Ecke, so wie alle anderen auch. Hier reiht sich ein Straßenstand an den nächsten. Sie bieten frittierte Empanadas an, das sind Käsetaschen, die manchmal auch mit Puderzucker bestäubt sind. So gestärkt fahren wir auf der einzigen Straße in das 240 km entfernte Tupiza.
GUSTAF ist nicht wasserscheu
Unsere Reiselust wird je gebremst, als wir Tarija verlassen. Eine Gruppe Bolivianer hat eine Straßen-Blockade eingerichtet und ist gerade dabei, die Forderungen auf ein Plakat zu schreiben: "Wir wollen Arbeit, bessere Wohnungen und Schulen. Schluss mit den Lügen und Versprechungen" steht darauf. Aufgrund der schwierigen Wirtschaftslage sowie der sozialen und politischen Spannungen sind spontane Streiks, Demonstrationen, Unruhen und Straßen-Blockaden jederzeit möglich und können durchaus Tage dauern. Was machen wir also jetzt? Die Taxifahrer von der anderen Seite haben schnell eine Lösung gefunden. Sie nehmen die Fahrgäste ihrer Kollegen vor der Sperre auf und übergeben sie hinter der Blockade an ihre Kollegen. Wir entschließen uns, zurück zu fahren und einen Schleichweg zu finden, da wir GUSTAF nicht zurücklassen können. Und wir sind scheinbar nicht die einzigen, die sich einen anderen Weg suchen wollen. Ein Bolivianer vor uns hat es besonders eilig und kennt sich bestens aus. Gut für uns und gut, dass GUSTAF nicht wasserscheu ist und einen hohen Radstand hat. Der Weg, den der Bolivianer nimmt, führt nämlich durch ein Flussbett.
Auf dem Weg in das 3.000 m hoch gelegene Tupiza fahren wir zum Teil über 4.000 m hohe Pässe und lassen dabei die Wolkendecke unter uns. Die Höhe macht auch GUSTAF zu schaffen, sodass wir häufiger halten müssen. In der kargen Landschaft wird es allerdings nicht langweilig, denn eine Schlange windet sich über die Schotterpiste und ein Hirte kommt uns mit seinen schwer beladenen Lamas entgegen. Die etwa 3 Millionen Lamas sind in diesem Land nicht nur Lastentiere, sondern auch Fleisch- und Wolllieferanten.
Auf schmalen, staubigen Straßen geht es durch eine atemberaubende Landschaft. Die kleinen Ortschaften mit ihren einfachen Steinhäusern bieten den Menschen nicht viel Luxus. Die Umstände verlangen ihnen Genügsamkeit und ein einfaches Leben ab. Oft gibt es weder fließendes Wasser noch Strom.
Butch Cassidy und Sundance Kid
Die kleine Stadt Tupiza war nicht immer die ruhige Siedlung, als die sie heute erscheint, denn sie hat Geschichte geschrieben. Die berühmten amerikanischen Westernhelden - Butch Cassidy und Sundance Kid - sollen sich hier eine beträchtliche Weile aufgehalten haben. Es heißt, 1908 wurden sie nach einem Raub im nahe gelegenen San Vincente vom bolivianischen Militär gestellt und bei der Festnahme erschossen. Bei unserer Abfahrt am nächsten Morgen haben wir wieder das Problem, dass uns Straßen-Barrikade an der Ausfahrt hindern. Autos haben sich dieses Mal auf den Ausfallstraßen und Brücken quer gestellt. Es scheint kein Raus kommen, jedenfalls nicht auf normalem Weg. Aber im Umfahren von Sperren waren wir ja schon geübt und haben wieder Glück. Der nahe Fluss führt nur wenig Wasser, sodass wir das Flussbett zum Umfahren der Sperren nutzen können. Bald sind wir wieder auf dem richtigen Weg.
Es geht nun stetig bergauf - in die Hochebene der Anden, dem Altiplano. Die karge Wüstenlandschaft weicht hier einem beeindruckenden Panorama aus Felsen, rotbrauner Erde und den schneebe-deckten, kegelförmigen Gipfeln der umgebenden Sechstausender. Die Höhe von 3.600 m macht uns zu schaffen. Schon die kleinsten Wege bewirken bei uns Kurzatmigkeit und bringen uns zum Schnaufen. Mir ist schwindelig und ich bekomme leichte Kopfschmerzen. Die Bolivianer selber haben mit der Höhe keine Probleme. Sie schwören auf ihren Koka Tee, der ihrer Konstitution gut tut.
Wir nähern uns Uyuni, der Stadt des Salzes und eines Lokfriedhofes. Der Eisenbahnfriedhof, der "Cementerio de los Trenes" liegt 3 Kilometer südlich von Uyuni und ist ein eindrucksvolles Zeugnis der Eisenbahngeschichte Boliviens. Früher wurden die Züge von den nahe gelegenen Silber-Minen genutzt, heute rosten die alten Dampflokomotiven und Waggons ihrer vollständigen Auflösung entgegen. Uyuni, einst ein wichtiger Knotenpunkt für den Gütertransport, ist heute nur noch eine staubige, kalte Stadt auf 3.600 m. Der allgegenwärtige Staub macht uns durstig und die Kehlen sind trocken. Da passt es gut, dass wir in GUSTAF einen kleinen Vorrat Cervezas gelagert haben.
Uyuni ist auch Ausgangspunkt von Touren durch die spektakuläre Wüstenlandschaft des Altiplanos. Allein 60 Unternehmen bieten Trips zum Salar und zu den türkisfarbenen Lagunen der Hochebene an. In Uyuni treffen wir das erste Mal auf Touristen und die dazu gehörenden unausweichlichen Pizza-Restaurants. Drei Amerikaner sind mit ihren großen Motorrädern in Washington gestartet und berichten von ihrer abenteuerlichen und teuren Fahrt. Sie sind in Südamerika nicht sehr beliebt und werden deshalb an den Grenzen häufig zur Kasse gebeten. Mit Erstaunen, aber auch leichtem Groll müssen sie von einer deutschen Familie hören, wie günstig der Transport ihres Reisemobils von Europa nach Buenos Aires war.
Platz der Lasttiere
„Platz der Lasttiere" lautet die Übersetzung des Aymarawortes Uyuni. Lasttiere, wie die Lamas, transportierten auch die Lebensgrundlage dieser Region: das Salz. Wir sind am größten Salzsee der Welt, dem Salar de Uyuni. Der Salar ist ausgetrocknet und mit dem Auto gut befahrbar. Allerdings frisst sich das Salz durch alles hindurch und GUSTAF muss sich nach der Fahrt einer gründlichen Wäsche unterziehen. Unendlich erscheint der riesige, grelle, weiße Salzsee. Seine Kruste soll an einigen Stellen bis zu sieben Metern dick sein. Für eine Pause halten wir an der mit Kakteen bewachsenen Isla de los Pescadores. Allerdings sind wir nicht die einzigen. Die erwähnten 60 Tour-Anbieter machen ebenfalls an der Isla ihren Routine Stopp, dazu kommen weitere privat organisierte Touren.
Kälte und Regen auf 4 000 m Höhe
Die höchstgelegene Stadt der Welt auf unserer Route ist Potosi auf 4000 m. Walter runzelt die Stirn. "Immer, wenn ich nach Potosi komme, ist das Wetter schlecht!" Und so ist es auch dieses Mal. Es wir immer dunkler. Die Wolken hängen tief. Kurz vor Potosi fängt es an zu regnen und hört nicht wieder auf. Nicht nur der Regen und die Höhe machen den Aufenthalt ungemütlich, es ist dabei auch unangenehm kalt. In unserer Unterkunft gibt es natürlich keine Heizung. Ich ziehe alles übereinander an, was warm hält und zittere immer noch. Trotz des miesen Wetters schauen wir uns - möglichst langsam auf dieser Höhe - die Altstadt an. Überall ist das spanische Kolonialerbe in Form der Architektur aus dem 17. und 18. Jahrhundert sichtbar. Die Stadthäuser sind mit schönen Balkonen versehen und zahlreiche prunkvolle Kirchen zeugen noch heute von vergangenem Ruhm. Den Reichtum hat die Stadt ihren Silbervorkommen zu verdanken. Diese machten Potosí damals zu einer der größten Städte und reichsten Städte der Welt.
Es ist einfach zu kalt und zu regnerisch in Potosi. Zusätzlich macht uns die Höhe von 4. 000 m ganz schön zu schaffen. Daher sind wir froh, Potosi wieder zu verlassen. 20 km hinter Potosi verziehen sich plotzlich die Wolken und die Sonne kommt raus. Was für ein Vergnügen – in steilen Kurven geht es den Berg hinab.
Die Straße ist bis nach Sucre, unserem nächsten Ziel, asphaltiert und so sind die 140 km schnell überwunden. Sucre strahlt mit seinen weiß getünchten Häusern eine gemütliche und behagliche Atmosphäre aus. Die Stadt erinnert uns ein bisschen an Andalusien mit seinen weißen Dörfern. Sucre besitzt ein erstaunlich gut erhaltenes und reiches koloniales Erbe. Wegen der schlechten Verbindungen mit dem Rest des Landes wurde die Stadt 1898 als Regierungssitz zugunsten von La Paz aufgegeben. Offiziell ist sie aber immer noch die Hauptstadt, in der weiterhin der oberste Gerichtshof des Landes tagt.
Es ist Karfreitag und damit im katholischen Bolivien ein Feiertag. Banken, Büros und andere Dienstleistungsunternehmen haben geschlossen. Man flaniert um die Plaza und genießt die freien Stunden. Aus einer der Seitenstraßen kommt uns eine nicht enden wollende, große Karfreitag-Prozession entgegen. Religion wird hier sehr ernst genommen.
Die Bremer Stadtmusikanten
Eine halbe Tagesfahrt erreichen wir Villa Serrano. Mit dem berühmten Schinken aus Spanien hat diese Kleinstadt nichts zu tun, doch hier stehen alte Bekannte - die Bremer Stadtmusikanten! Klar ist, dass diese Stadt berühmt und bekannt ist für seine traditionelle Musik und seinen Tanz. Die Charango, ein kleines Zupfinstrument, das man in Vorspanischer Zeit nicht kannte, hat sich in Villa Serrano durch einen hier lebenden bekannten Charango Künstler besonders entfaltet. Mag sein, dass dies der Hintergrund der Bremer Stadtmusikanten ist.
Ein Restaurant oder ein Imbissstand ist nicht zu entdecken. Am Abend gibt es jedoch einige Häuser, die ihre Türen für Fremde öffnen und etwas zu Essen anbieten. Einige Charango Spieler gesellen sich zu uns und spielen die typischen, melancholischen Lieder. Es wird ein langer Abend.
Ein Schotterweg führt uns am nächsten Tag zu den südwestlichen Ausläufern der Cordillera Oriental und damit auch dem Rio Grande. Eine kolossale Stahlbrücke mit Asphalt unterbricht die staubige Piste und führt über den Fluss. Uns kommt ein Jeep entgegen und wir stoppen, denn Walter kennt die Insassen. Es sind die Franzosen Christof und Jean. Sie tragen ein Shirt mit dem Konterfei von Che Guervera – das Wort USA ist mit einem dicken, roten Kreuz durchgestrichen. Unser nächstes Ziel - nämlich La Higuera - kündigt sich an. Wir sind auf der Ruta del Che. Bekannt wurde La Higuera durch den argentinisch-kubanischen Revolutionär und Guerillakämpfer Ernesto „Che" Guevara, der hier am 9. Oktober 1967 von der bolivianischen Armee unter Beteiligung des CIA erschossen wurde. Juan hat sich an diesem Ort mit seiner Frau Oda niedergelassen und bietet uns in der ehemaligen Telegrafenstation eine Übernachtungsmöglichkeit an. Elektrizität gibt es in La Higuera noch nicht, dafür aber fließendes Wasser und eine sehr bequeme Hängematte, die augenblicklich zu meinem Lieblingsplatz wird.
Che Guevara in La Higuera
Bei Petroleumlicht und Lagerfeuer erzählt uns Jean die Geschichte über das Ende von Che Guervera. In dieser Gegend hatte sich also Che Guevara mit seinen Guerillakämpfern durchgeschlagen? Ich frage mich, wieviel Idealismus man haben muss, um hier in den Wäldern Boliviens monatelang unter erbärmlichsten Bedingungen zu existieren, geschweige denn zu kämpfen und ständig in Angst vor Entdeckung zu leben. Die Schule hat im Oktober 1967 Geschichte geschrieben, denn Che Guevaras Gruppe, die am Ende nur noch aus 14 Männern und einer Frau, der Deutschen Tamara Brunke, bestand, wurde am 8. Oktober 1967 in der bei La Higuera liegenden Schlucht von Regierungstruppen aufgespürt. Nach heftigen Kämpfen wurde der verwundete Comandante dort festgenommen und ins Schulgebäude des kleinen Ortes gebracht, wo er unter Leitung eines CIA-Agenten verhört wurde. Am folgenden Tag wurde er von einem kleinen Feldwebel erschossen. Der bekam es, nachdem er den Erschießungsbefehl erhalten hatte, mit der Angst zu tun, sodass er erst nach mehreren Stunden und unter starkem Alkoholeinfluss bereit war, die Erschießung vorzunehmen. Der Campensero, der Che damals für ein Kopfgeld von 5.000 US Dollar verraten hatte, soll noch heute in den Bolivianischen Bergen leben. Wir lassen uns den Schlüssel von einer Dorf-Bewohnerin für das ehemalige Schulhaus geben, das jetzt ein Museum ist. Im Dorf wechselt man sich mit der Verwahrung des Schlüssels ab - so kommt jeder in den Genuss des Eintrittsgeldes.
Die Leiche von Che Guervera wurde heimlich im 30 km entfernten Vallegrande auf dem Flugplatz begraben, nachdem ihm seine Hände entfernt wurden, um einen Nachweis zur Identifizierung zu haben. In der kleinen Stadt wurden die Überreste von Che Guevara dann 1997 gefunden und exhumiert, nachdem einer der damals Beteiligten sein Schweigen brach. Die Gebeine von Che und einigen seiner Begleiter wurden nach Kuba überführt, um dort in einem Staatsbegräbnis beigesetzt zu werden. Heute ist in Vallegrande ein Mausoleum errichtet. An der Fundstelle stehen Grabsteine für die Getöteten.
Ein Schwächeanfall
Ganz schön eingestaubt sind wir mittlerweile in El Fuerte de Samaipata angelangt. Drei Viertel unserer Tour haben wir bereits hinter uns. Alles lief bestens bis hierher. Auch unser hochbetagter GUSTAF nahm jede Kurve und jedes Wasserloch, ohne Schwäche zu zeigen. Wir können uns daher getrost zurück lehnen und den Abend genießen. Ohne Hast geht es weiter - bis Walter verdächtige Geräusche ausmacht. Am linken Rad müsste irgendwas nicht in Ordnung sein. Also wird das Rad abgeschraubt und nachgeschaut. Er hat Recht - die Radnabe ist gebrochen. Und nun? Autowerkstatt, Abschleppdienst, Telefon, Hilfe für GUSTAF? Leider Fehlanzeige. Christopf und seine Frau aus La Higuera fahren die gleiche Strecke haben mittlerweile hinter uns gehalten. Eins ist klar: für GUSTAF gibt es keine Ersatzteile mehr.
Eine Drehbank und jemand, der schweißen kann muss gefunden werden. Vermutlich gibt es im letzten Ort eine Werkstatt. Wir halten die Stellung an der staubigen Schotterpiste irgendwo hinter Samaipatta. Es wird dunkel und wir räumen das Auto zur Schlafstätte um. Die Nacht werden wir wohl am Straßenrand verbringen müssen. Kurz vor Mitternacht schrecken wir hoch - jemand rumpelt am Land Rover. Wir zücken unsere Taschenlampe und sehen die lachenden Gesichter von Walter, Christoph und seiner Frau. Sie sind zurück, haben eine Werkstatt mit Werkbank gefunden und einen Mechaniker, der auch noch schweißen kann! Und die Krönung ist, dass diese Werkstatt auch noch in der Lage war, eine komplett neue Radnabe passgenau anzufertigen. Nach einem heißen Tee und trockenem Brot am nächsten Morgen, schrauben Walter und Harald alles wieder zusammen. Aber etwas fehlt. Schnell wird klar, dass die Feder der Bremsbacken verschwunden ist. Ohne die geht gar nichts. Nach ein paar Stunden Suchen steht fest - die Feder ist verschwunden. Um das Ganze abzukürzen - die drei fahren noch einmal zurück zur Werkstatt im letzten Ort und kommen am Nachmittag mit einer Feder aus einem Scheibenwischer zurück.
Staub, 40 Grad im Schatten und miese Pisten
Es kann weiter gehen. Mittlerweile sind wir hinter Santa Cruz wieder im Flachland angekommen. Nun wollen wir nur noch Strecke machen. Bis San Jose erwartet uns allerdings eine 400 km lange Baustelle mit einer absolut miesen Piste und 40 Grad im Schatten. GUSTAF gehört leider noch zu der Generation Fahrzeuge ohne Klimaanlage. Der feine Staub kriecht in jede Ritze und davon hat GUSTAF viel. Bei jeder Unebenheit wabert der Staub durch den Innenraum und zeitweise beschleicht mich das Gefühl, dass es im Auto staubiger ist als draußen. Nach diesem Horror- Trip sitzt der Staub auf unserer Haut und in unseren Haaren so tief, dass das Handtuch, auch nach ausgiebigem Duschen, immer noch rot wird.
Kurz vor San Jose sehen wir wieder die ersten Mennoniten, natürlich motorisiert. Hier im bolivianischen Chaco haben sich aber auch einige extrem strenge Mennoniten niedergelassen. Sie bearbeiten ihre Felder auf altmodische Art und Weise, Autos und Elektrizität gibt es nicht. Auch äußerlich sind sie schnell zu erkennen: die Männer tragen alle blaue Latzhosen, die Frauen hochgeschlossene, lange Kleider mit Ärmeln. Die meisten sind blond und sprechen ein komisches, altertümliches Plattdeutsch. Ich versuche sie auf Deutsch anzusprechen. Sie reagieren aber gehemmt, verschüchtert und wenden sich schnell von mir ab.
Bald steht ein erneuter Grenzübergang an. Wir wollen nach Corumba im brasilianischen Bundesstaat Mato Grosso do Sul. Leider haben wir gerade Feiertag und die Grenzstation ist daher geschlossen. Ein Tag zu warten wäre fatal, denn wir müssen unseren Flug bekommen. Rütteln, klingeln, rufen, freundlich fragen – es hilft, wir bekommen unseren Stempel.
100 größere und kleinere Holzbrücken im Pantanal
Mit Corumba sind wir wieder am Rio Paraguay. Auch wenn die Stadt für Wilderei und Drogenhandel bekannt ist, werden Traveller meist in Ruhe gelassen. Der Sonnenuntergang am und auf dem Fluss ist zauberhaft. Wir mieten uns im Hafen auf einem Boot ein und fahren ein Stück auf dem Rio Paraguay der Abendsonne entgegen.
Auf einer alten aufgeschütteten Piste, die 90 km durch das südliche Pantanal führt, fahren wir weiter. Die Piste hat 100 größere und kleinere Holzbrücken, die oftmals in einem abenteuerlichen Zustand sind. Das Pantanal ist abhängig vom Wasser und der alljährlichen Regen- und Trockenzeit. Der einzige Abfluss auf dieser Ebene ist der Rio Paraguay. Die Brasilianer selber nutzen das zugängliche Pantanal zum Angeln und als Erholungsgebiet. Es ist Wochenende und so treffen wir gelegentlich auf Familien an den Ufern. Ein kleines Mädchen beobachtet mit ihrem Fernrohr einen nicht weit entfernt dösenden Kaiman, während ihr Bruder Piranhas angelt. Und wir überqueren ein paar Kilometer weiter zum wiederholten Mal den Rio Paraguay.
Unsere Reise geht zu Ende und wir sind wieder bei Walter in Oviedo. Ein Tag bleibt uns noch und eine Tour mit der Ente von Walter ist ein Muss. Wir schaukeln mit der Konservenbüchse über den Straßen und fühlen uns dem Verkehr sehr nah. Die damaligen Konstrukteure hatten einen Auftrag: es musste ein Sack Kartoffeln in den Wagen passen und ein Korb Eier durfte beim Fahren über dem Acker nicht zerbrechen. Die weiche Federung lässt mich auf dem Rücksitzt fast schwindelig werden. Aber auf den Straßen sind wir das Ereignis. Selbst der mürrische Polizist an der Ecke kann sich ein breites Grinsen nicht verkneifen.
Unser Fazit: Die Reise war ein einmaliges Erlebnis, einschließlich GUSTAFs Schwächeanfall. Übrigens: Die Feder des Scheibenwischers hat dann noch über 1000 km bis nach Paraguay gehalten. Zuhause hat Walter die ursprüngliche und verschollen geglaubte Feder wieder gefunden - beim gründlichen Reinigen von GUSTAF!
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Steffengötz (Donnerstag, 02 Mai 2024 19:47)
@steffengötz